Es ist der 12. Oktober 2014 gegen 14:00 Uhr, und ganz Langenberg liegt in sonntäglicher Ruhe in der Nachmittagssonne. Ganz Langenberg? Nein! Am Bahnhof der kleinen Stadt hat sich eine fröhliche Gruppe von Menschen zusammengefunden und wartet auf irgendetwas. Es ist der Ehemaligenchor und er freut sich darauf, unter der sachkundigen und engagierten Führung von Isolde die Schätze dieser Stadt auf der Grenze zwischen Westfalen und dem Rheinland zu entdecken.
Schon kurz hinter dem Bahnhof bekamen wir einen interessanten Überblick über die Entwicklung von Langenberg und die Historie des Vereins zur Förderung der Bücherstadt Langenberg. So erfahren wir zum Beispiel, dass Langenberg seit jeher eine reiche Stadt und ein schwunghafter Handels- und Industriestandort war. Kupferhämmer, Öl-, Getreide- und Papiermühlen waren ansässig, aus letzteren entstand eine der größten Papierfabriken Europas die fast alle europäischen Bahnen mit Papier für Fahrkarten versorgte. Daneben war das Färben von und der Handel mit Seide ein bedeutender Industriezweig. Als logische Folge davon ist Langenberg die Stadt mit der höchsten Villendichte in Deutschland und viele der altansässigen Familien sind noch heute im Ort präsent und eine Institution in der städtischen Gesellschaft. Die Villen und Häuser in Langenberg tragen übrigens alle Namen, die sich zum Teil aus ihren ursprünglichen Bewohnern ableiten. Ein Beispiel ist die Colsman Villa, benannt nach dem Tuchfabrikanten Colsman, der ein Verfahren entwickelte, um Seide nach dem Waschen besser verarbeiten zu können.
Unser nächstes Ziel war die Eventkirche, erbaut von Dombaumeister Julius-Carl Raschdorff, der auch der Architekt des Berliner Doms ist. Neben ihrer Bedeutung für die Kirchengeschichte des Rheinlandes und einem Einschussloch aus Kriegszeiten in einem der Bilder des Kreuzganges bietet die Kirche eine hervorragende Akustik. Diese Gelegenheit ließen wir nicht ungenutzt und sangen spontan „Wie die hohen Sterne kreisen“. Die Führung wurde inzwischen von Ulrike fortgeführt – die sich als ebenso geübt in dieser Disziplin erwies- da Isolde nach einem geheimnisvollen Telefonanruf zu einem anderen Ort eilen musste.
Die nächste Station war das Seniorenheim von Langenberg. Christians Mutter, vielen von uns von den Essen in der Marktschänke persönlich bekannt, lebt dort. Sie hatte an diesem Tag Geburtstag und wir überraschten sie mit einem kleinen Ständchen, was sie offensichtlich sehr gefreut hat. Isolde löste die geheimnisvolle Unterbrechung ihrer Stadtführung auf: sie hatte einen Geburtstagskuchen mit Kerzen organisiert.
Danach lernten wir einige Buchantiquariate kennen, die in teilweise sehr interessanten Immobilien entstanden sind. So war eines in einer ehemaligen Bäckerei untergebracht, und wenn auch der alte Ofen nicht mehr mit vernünftigem Aufwand betrieben werden konnte, so wurden dort dennoch Bio-Backwaren neben antiquarischen Büchern angeboten. Einige von uns haben sich dort spontan mit etwas Wegzehrung versorgt und wurden nicht enttäuscht.
Die nächste Station war die alte evangelische Kirche im historischen Zentrum von Langenberg, in dem wir vor vielen Jahren schon mal aufgetreten sind. Das Gotteshaus war eine Gründung des Rellinghauser Damenstiftes, dem in der Gegend um Langenberg eine Anzahl von Höfen gehörte. Geweiht war die Kapelle dem hl. Lambertus. Hier erwartete uns eine besondere Überraschung, nämlich Herr Professor Dr. Wolfgang Stockmeier. Der bekannte Komponist und Organist war lange Zeit der musikalische Begleiter des Kinderchores im Saalbau und war vielen Ehemaligen bestens bekannt. Als charmanter Gentleman alter Schule vertrat Professor Stockmeier die Ansicht, dass die Damen das ja wohl kaum miterlebt haben können. Er war auf Bitten von Isolde in die Kirche gekommen, um uns zwei Orgelstücke vorzutragen. Danach begleitete er uns zu den Liedern Tollite Hostias und Tochter Zion. Beides war sehr gelungen und wurde von zufällig anwesenden Kirchenbesuchern mit lebhaftem Applaus bedacht. Im Umfeld der alten Kirche gab es früher einen Friedhof, der irgendwann aufgelöst wurde. Viele der alten Grabsteine wurden in den alten Fachwerkhäusern verbaut. Kuriosität am Rande: unser neuer Tenor Nebo Pantovic wohnt in Langenberg und geht über solche Grabsteine in seinen Keller.
Das nächste Ziel war ein Haus mit dem Namen „Im Honnes“. Gestartet mit einem Buchantiquariat im Erdgeschoss, birgt das Haus inzwischen auch ein Atelier für eine Malerin und eines für Malerei und Skulptur. Neben den Büchern werden dort auch andere, zum Teil hochwertige und sehr interessante, Antiquitäten angeboten. Dort hatten fleißige Hände ein kleines Nachmittagsbuffet für uns angerichtet, bestehend aus Sekt und Orangensaft und diversen Süßigkeiten und Knabbereien. Wir durften im Haus frei umherstreifen und in jedes noch so kleine Zimmer gucken, um alle Geheimnisse zu entdecken die das Haus bot. Ein Zimmer jedoch war verschlossen und das barg eine wahre Kostbarkeit. Aus einem Nachlass konnte man 30 Ausgaben der göttlichen Komödie von Dante, gedruckt im Jahre 1491 für dieses Haus gewinnen. Das absolut Geniale jedoch ist: Auf besonderen Wunsch des jetzigen Eigentümers darf man diese Bücher anfassen und betrachten. Für uns wurde das Zimmer geöffnet und wir durften exklusiv und vor Eröffnung der geplanten Dante Ausstellung die Bücher sehen und berühren, was schon ein sehr besonderes Erlebnis ist.
Zum guten Schluss konnten wir noch einen Blick auf das zur Zeit in Renovierung befindliche Bürgerhaus werfen. Es entstand auf Basis einer Stiftung des Seidenfabrikanten Adalbert Colsman und seiner Frau Sophie und wurde bis 2006 für Theater- und Konzertaufführungen genutzt. In früheren Jahren übrigens auch vom Steeler Kinderchor! An dieser Stelle entstand der Wunsch, mit dem Ehemaligenchor eines Tages an dieser historischen Stätte aufzutreten. Ein sehr reizvoller Gedanke!
Die letzte Besichtigung galt einem Antiquariat namens „Bücherquelle“. Interessant deshalb, weil sich dieses Geschäft von einer subventionierten Immobilienrettung hin zu einem Gewinne erzielenden Kleinunternehmen entwickelt hat. Es kann nun weitergegeben – und erfolgversprechend betrieben werden- damit der Verein zur Förderung der Bücherstadt Langenberg das nächste Projekt anstoßen kann, was heißt, ein weiteres, leeres Ladenlokal zum Antiquariat einrichten kann.
Nach diesem ebenso kurzweiligen wie informativen und sehr unterhaltsamen Nachmittag haben wir uns in der Villa Au bewirten lassen. Das dort ansässige italienische Restaurant hat uns zum Schlemmen animiert, und wir haben den Abend sehr gemütlich und harmonisch ausklingen lassen. Natürlich nicht ohne Gesang! Dem Gasthaus angemessen, wurde la pampina angestimmt. Weitere Lieder folgten, und neben dem Applaus der anderen Gäste bekamen wir noch einen Grappa vom Haus.
Alles in Allem eine wunderschöne Veranstaltung, von unseren beiden Fremdenführerinnen Isolde und Ulrike mit viel Herzblut und fundierter Sachkenntnis durchgeführt. Wir Chormitglieder erlebten einen Nachmittag in Harmonie und im Sinne des alten Geistes des Kinderchores. Wir haben uns als Gemeinschaft verstanden, die ein gemeinsames Ziel hat. Am Abend hatten wir an bunt gemischten Tischen viel Spaß und haben daraus Kraft für die Zukunft gewonnen. Ich denke, da werden wir uns alle noch lange und gerne dran erinnern. Und wer den Kontakt mit dieser liebenswerten Stadt vertiefen möchte: So weit ist Langenberg ja gar nicht entfernt, auch wenn es im Rheinland liegt.